Exklusiv-Interview mit Stefan Mohr &

Kristina Bonitz

BVDW
Foto: ©Svea Pietschmann

Deutscher Digital Award: Kristina Bonitz und Stefan Mohr über Trends in der digitalen Kreation. Von Bärbel Unckrich

Zum zehnjährigen Jubiläum gönnt sich der Deutsche Digital Award erstmals eine Doppelspitze für die Jury. Stefan Mohr, CCO der Argonauten, war bei der Premiere des Wettbewerbs für digitale Kreation der erste Jurypräsident. Zum Geburtstag übernimmt er den Job erneut und bekommt mit Kristina Bonitz, CEO der Strategieberatung Diffferent, eine Vizepräsidentin. Im HORIZONT-Interview sprechen Mohr und Bonitz über das Jubiläum, aktuelle Trends und das allgegenwärtige Thema künstliche Intelligenz (KI).

 

Der Deutsche Digital Award feiert dieses Jahr 10-jähriges Jubiläum. Stefan Mohr, Sie sind von Anfang an dabei. Was sind die größten Veränderungen, die der Wettbewerb durchlaufen hat?

Stefan Mohr: Im Digitalbereich sind wir es ja generell gewohnt, dass der Status quo niemals bestehen bleibt. Wir müssen mit neuen Plattformen umgehen, Geschäftsmodelle ändern sich et cetera. Das spiegelt sich natürlich auch im Wettbewerb und seinen Kategorien wider. Themen, von denen wir vor zehn Jahren noch gar nicht wussten, dass es sie heute geben würde, haben Einzug gefunden. Abgesehen davon haben wir vor einigen Jahren damit begonnen, die Jury sukzessive zu verjüngen und immer wieder neue Leute reinzuholen, die frische Impulse mitbringen. Im Zuge dessen haben wir dieses Jahr erstmals eine doppelte Juryspitze mit Kristina Bonitz und mir.

 

Was genau hat es damit auf sich?

Mohr: Auch hier ist es die Idee, maximal heterogen unterwegs zu sein, um ausgewogenere Diskussionen zu bekommen. Seien wir ehrlich: Es gibt Themen, die für diejenigen, die bereits seit zehn Jahren in der Jury oder seit 30 Jahren in der Branche tätig sind, nicht mehr so verständlich sind wie für jemanden, der aus einer ganz anderen Generation kommt wie Kristina.

 

Kristina Bonitz, Sie waren schon zweimal „normales“ Jurymitglied. Welchen Fokus werden Sie als Vize-Vorsitzende setzen?

Kristina Bonitz: Den gleichen Fokus wie bei den beiden anderen Malen: Mich interessieren vor allem die Themen, die nicht nur kommunikativ wirken, sondern auch strukturell etwas verändern. In diesem Kontext spielt für mich auch das Thema Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle, denn auch digitale Plattformen und Applikationen verbrauchen Ressourcen. Deshalb sollte der Impact in einem guten Verhältnis zu den Einsätzen stehen. Auch wichtig: Gerade in Zeiten wie diesen geht es darum, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und einen „Purpose“ zu bedienen. Natürlich müssen die Cases dann auch noch kreativ gut umgesetzt sein. Digitale Kommunikation soll schließlich auch Spaß machen.

 

Mit welchen großen Trends rechnen Sie dieses Jahr im Wettbewerb?

Mohr: KI, KI, KI. Davon abgesehen werden wir die nächste Evolutionsstufe von Einsendungen rund um das Metaverse sehen. Auch wenn zuletzt gefühlt alles von dem Thema KI überstrahlt wurde, geht es auch in anderen digitalen Bereichen weiter. Es wird garantiert auch spannende Transformationsprojekte geben. Da tut sich sehr viel, wenngleich das natürlich oft nicht so glossy ist wie andere Einsendungen. Außerdem erhoffe ich mir mehr Humor und ein bisschen weniger ernste Themen.

Bonitz: Da bin ich voll bei dir. Ich hoffe auch auf kreative Lichtblicke in der grauen Suppe, in der wir uns gerade befinden. Mich würde es auch freuen, wenn wir beweisen könnten, dass Deutschland nicht nur Trends folgt, die in den USA oder Großbritannien gestartet sind, sondern dass wir eigene Benchmarks mit neuen und innovativen Anwendungsfällen setzen können. In den letzten Jahren ist das durchaus schon gelungen. Hoffentlich auch dieses Jahr.

 

Aus welchen Bereichen werden besonders spannende Impulse kommen?

Bonitz: Hier würde ich gerne das Thema Marke in den Raum werfen. Jetzt, wo wir alle mit einer verminderten Kaufkraft konfrontiert werden, erkennen viele Unternehmen die Strahlkraft ihrer eigenen Marke und wollen diese in den Vordergrund stellen. Ich könnte mir vorstellen, dass das ein kreativer Gegenpunkt zu den ganzen KI-Themen sein wird. Das Thema Commerce könnte ebenfalls noch ganz spannend werden.

Mohr: Das hoffe ich jedes Jahr – und dann ist es doch meistens die langweiligste Kategorie von allen, wo dann letztlich nur ein neu gelaunchter E-Commerce-Shop präsentiert wird mit Features, die es anderswo schon seit Jahren gibt. Das ist so schade, weil in diesem Bereich theoretisch so viel möglich ist! Grundsätzlich teile ich nämlich Kristinas Enthusiasmus für das Thema.

Bonitz: Die Zeit wird kommen, wo sich die Agenturen zwangsläufig damit beschäftigen müssen. Wenn man sich anschaut, in welcher Art und Weise chinesische Turbo-E-Commerce-Händler wie Temu und Shein den Markt erobern und wie Haifische in unseren Gefilden wildern, dann zeigt das doch, dass wir vor massiven Umwälzungen stehen. Dieses Thema wird aufgrund des KI-Hypes und der lokalen Probleme noch ein wenig unterschätzt, aber ich bin sicher, dass wir davon in den kommenden Jahren noch viel hören werden.

 

Das Metaverse wäre prädestiniert für spannende Commerce-Projekte. Aber davon war zuletzt nicht viel zu hören. Gleiches gilt übrigens für ein weiteres Hype-Thema aus 2022: NFTs. Auch das scheint vergessen zu sein. Wird sich das wieder ändern?

Mohr: Das Thema NFTs betrachte ich sehr skeptisch. Es fußt zwar nach wie vor auf einer total spannenden Technologie, aber durch die ganzen Krypto-Scams ist das Thema verbrannt. Ganz anders sieht es beim Metaverse aus. Die Menschen treffen sich weiterhin in virtuellen Räumen, Marken präsentieren sich dort, es findet Entertainment statt. Das Thema ist ja geblieben, auch wenn in den vergangenen Monaten weniger darüber geschrieben wurde. Wir sind in unserer Branche immer sehr gut darin, alles andere wegzureden, wenn es ein neues Highlight-Thema gibt. Dieses neue Highlight-Thema ist KI. Als DDA-Jury müssen wir auch ein bisschen dafür sorgen, dass dem nicht alles andere untergeordnet wird.

 

Wie sehr hat das Thema KI die Kommunikationsbranche jetzt schon verändert?

Mohr: Glaubt man den Linkedin-Statements einiger Manager und den entsprechenden Presseverlautbarungen ihrer Agenturen, scheint alles nur noch davon bestimmt zu sein. Dem ist aber nicht so. Es wird schon noch sehr viel in althergebrachten Agenturmodellen gearbeitet und gedacht. Aber klar, es gibt wahrscheinlich keine Agentur oder keinen Dienstleister, der sich nicht mit dem Thema beschäftigt und experimentiert. In der Praxis ist der Mensch jedoch nicht so schnell wie der technologische Fortschritt, den er theoretisch nutzen könnte. Im KI-Kontext sehe ich aktuell vor allem ein drängendes Thema: Wir müssen unseren Kunden erklären, dass der Einsatz von KI nicht automatisch bedeutet, dass alles billiger wird, nur weil wir dadurch effizienter werden. Diese Nuss gilt es zu knacken. Ich glaube, das wird die dominierende Diskussion der kommenden Jahre.

Bonitz: Aktuell dreht sich alles noch viel zu sehr um die Content-Produktion. Ja, wir können künftig Bilder, Texte, Audio und Video mit KI erstellen. Aber noch viel spannender sind die Bereiche, wo KI unsichtbar bleibt und dennoch einen riesigen Unterschied macht. Stichwort Datenautomatisierung und Personalisierung: Da findet der eigentliche Effizienzgewinn und langfristig auch der größere Shift statt als im kreativen Output.

 

Da reden wir dann aber über Projekte, die vielleicht nicht unbedingt beim DDA im Rampenlicht stehen. Kehren wir noch mal zum Wettbewerb zurück. Welche digitalen Kampagnen oder Projekte haben Sie in den vergangenen Monaten besonders begeistert?

Mohr: Eine konkrete Arbeit würde ich ungern preisgeben wollen, aber was mich wirklich beeindruckt hat, ist die Art und Weise, wie schnell einige Agenturen eigene Produkte und Dienstleistungen rund um das Thema KI auf die Straße gebracht haben. Da fallen mir vor allem JvM Stables und Mutabor.AI ein. Beides fand ich wirklich beeindruckend. Mutabor hätte mit ihrer Transformation von der CI-Agentur zum Digitaldienstleister einen super Case in eigener Sache.

Bonitz: Was ich sehr spannend finde, ist das Format des Computerspiels als Marketing-Vehikel. International passiert da gerade sehr viel und ich bin schon gespannt, ob wir diesen Trend auch beim diesjährigen DDA sehen werden.

 

Wo wir gerade bei internationalen Arbeiten sind: Wie beurteilen Sie den Status quo der digitalen Kreation in Deutschland?

Mohr: In vielen Bereichen können wir gut mithalten und in einigen sind wir wahrscheinlich sogar Vorreiter. Gerade bei Metaverse-Themen haben wir mit Artificial Rome und Demodern zwei Agenturen, die international ganz weit vorne mitspielen. Da brauchen wir uns nicht zu verstecken.

 

Und wo sehen Sie Nachholbedarf?

Mohr: Wo wir uns immer ein bisschen schwertun, sind die ganz großen emotionalen Kampagnen, die alle mitreißen. Dafür fehlt uns vielleicht ein bisschen die Lässigkeit.

Bonitz: Für radikalen Mut in der Kreativität braucht es eine gewisse Leichtigkeit im Narrativ. Wir sind da häufig zu verkopft. Aber ich bin auch nicht nur Feindin, sondern auch Fan von den Richtlinien und Regeln, die bei uns gelten, weil dabei substanziellere Produkte und Applikationen rauskommen.

 

Letzte Frage: Wie wird der DDA in zehn Jahren aussehen? Wird es dann überhaupt noch Award Shows geben?

Mohr: Ich glaube schon – vorausgesetzt, die Digitalagenturen sind bis dahin nicht alle ausgestorben, wie einige Pessimisten orakeln. Ich bin da aber zuversichtlich. Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren immer noch einen Award haben werden, der den Zeitgeist repräsentiert. Aber wie der dann aussehen wird, kann niemand voraussagen.

Zusätzlich könnt ihr hier sehen, was die Jury zum DDA sagt.